Wenn wir von
Online-Collaboration sprechen, so meinen wir damit nicht den
E-Mail-Austausch zwischen Einzelpersonen, sondern den schriftlichen
zeitversetzten Diskurs auf webbasierten Plattformen. Unter Plattformen
verstehen wir vereinfacht gesagt alle Systeme, die ein
gruppenorientiertes Einstellen und Bearbeiten von Texten im Internet
ermöglichen, wie C3MS Systeme (Content+Community+Collaboration
Management), wikis, Weblogs etc. Als Minimalvariante verstehen wir
darunter ein Diskussionsforum in Kombination mit
Text-Uploadmöglichkeiten.
Im Gegensatz zur diffusen E-Mailkommunikation bietet eine webbasierte
Plattform einen zentralen Ort für Information und Kommunikation und
führt zur Entstehung eines transparenten sozialen Raums:
Die verfügbare Information ist mit der publizierenden Person verbunden,
d.h. mit der Sachebene ist immer auch die Beziehungsebene verbunden.
Die soziale Beziehung zwischen den involvierten Personen ist essenziell
für den Austausch auf der Plattform und ermöglicht die Initiierung von
Peer Review Prozessen. (Eine mögliche Begründung dafür liefern Lave
& Wenger, Kap. 3)
Die Grundthematik der Entstehung eines sozialen Raums
Abbildung 1: Die Kommunikation über Plattformen erzeugt einen sozialen Raum
Wenn man nun Online-Collaboration mit herkömmlicher
Gruppenzusammenarbeit (Menschen, die sich im gleichen Raum befinden)
vergleicht, so können folgende veränderte Strukturmerkmale der
Kommunikation hervorgehoben werden:
Zeitstruktur: Der Rahmen der Interaktion erstreckt sich weiter,
ohne dass er sich verliert. Die strukturierte Darstellung des
Diskurses, typischerweise in Form von Forum-Threads, bewirkt erhöhte
Übersichtlichkeit und läßt die Zeitversetztheit nachträglich
zusammenschrumpfen.
Schriftlichkeit: Der Wissensaustausch findet in schriftlicher
Form statt. Gedanken, Textbausteine und Argumente können schon in einem
sehr frühen Stadium und z.T. durchaus auch noch in unausgegorener
Form anderen zugänglich und damit kommentierbar, erweiterbar und
verbesserbar gemacht werden.
Nachvollziehbarkeit & Transparenz: Durch die Verfügbarkeit
der Diskussions-historie sind Gedankengänge, der Argumentationsverlauf
etc. nachvollziehbar. Austauschfördernd wirkt sich vor allem auch die
Tatsache aus, dass Ideengeber ersichtlich bleiben.
Kontextualisierung: Einzelne Informationsstücke können auf einfache Weise mit anderen in Beziehung gesetzt werden.
Auf die Frage, warum sich diese veränderten Bedingungen positiv auf
Lernprozesse auswirken sollten, sind folgende Argumente zu nennen:
Energie- und Qualitätsgewinn durch Peer-Review
mehr Diskursoberfläche durch viele Beispiele der Teilnehmer
höherer Reflexionsgrad, Prägnanz, Sorgfalt der Argumentation
auch die Leisen kommen zu Wort
freiwillige Verlagerung von Lernaktivität in die Freizeit
lesen/schreiben/lesen/schreiben ist eine Urform des Lernens
Disziplin (z.B. bei Abgabeterminen) steigt durch die hohe Transparenz
Abschreiben gibt es so nicht, sondern die Fähigkeit auf Ideen anderer aufzubauen
Fragestellungen mit persönlichem Bezug (privat, beruflich) führen online zu größerer Offenheit
erhöhte Offenheit für theoretische Konzepte im Anschluss an Forendiskussionen
Bis
hierher bewegen wir uns noch im didaktisch inszenierten Bereich, um die
Wirkung von Online-Collaboration zu beschreiben. Eine wichtige
Fragstellung dieses Beitrags lautet aber: Unter welchen Bedingungen
findet Online Collaboration außerhalb von Lehrveranstaltungen statt?
Studierende kooperieren von jeher auf vielfältige Weise außerhalb des
Unterrichts: z.B. in Form von Lernrunden, Skriptentausch, Erstellung
von Fragensammlungen, gegenseitigem Abprüfen, informellen Treffen mit
Lehrenden, Paukerkursen, studentisch organisierten
Diskussionsveranstaltungen usw.
Diese Kooperation erfolgt auf freiwilliger Basis und beinhaltet über
die reine Bewältigung des Lernstoffs hinaus eine Reihe von weiteren
Kooperationsaktivitäten: Fahrgemeinschaften, Studentenfeste, Bücher-
und andere Börsen, Wohnungsvermittlungen, organisatorische Ratschläge
in Bezug auf das Studium bzw. Stipendien, internationaler Austausch von
Praktika, Studentenvertretung usw.
Wenn Studierende alle diese Dinge völlig freiwillig unternehmen, so ist
es schlüssig, dass sie Online-Collaboration einfach als weitere
Möglichkeit betrachten, sich bei der Bewältigung ihres Studiums und
Studentenlebens auch ohne Zutun der jeweiligen Institution -
gegenseitig zu unterstützen.
Warum aber tun sie das alles, ohne von irgendjemandem beauftragt worden
zu sein? Wie kann man die (Lern-) Handlungen einzelner Studenten im
Kontext einer größeren Lerngemeinschaft begreifen?
Patricia Arnold ( [1])
analysierte in ihrer Dissertation die Praxis der Online
Lerngemeinschaft einer Fernuniversität und fand im Ansatz des
expansiven Lernens von Holzkamp ( [2]) sowie dem Konzept der Community of Practice von Lave und Wenger ( [3])
den passenden theoretischen Rahmen, um diese Fragen zu beantworten.
Beide Ansätze gehen von der Hypothese aus, dass Menschen bestrebt sind,
ihre Verfügungs- und Lebensmöglichkeiten im sozialen Raum zu erweitern
und darauf ihr Handeln ausrichten. Da sich das Konzept der Community of
Practice stärker mit der Einbettung von Individuen in Gemeinschaften
beschäftigt, soll es im Folgenden kurz erläutert werden.