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6. Schlussfolgerungen
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Gemeinsame
gelebte Praxis ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass
Lerngemeinschaften im Sinne des Community Konzeptes von Lave und Wenger
entstehen und sich selbst organisieren. Unter Praxis verstehen
Studierende die Bewältigung ihrer konkreten Lebenssituation, und nicht
notwendigerweise die berufliche Praxis des angestrebten Fachgebiets
z.B. in Form von didaktisch aufbereiteten Praxisbeispielen. Dies muss
man klar vor Augen haben, wenn man von Communities of Practice bzw. von
selbstgesteuerten Lerngemeinschaften im Hochschulumfeld spricht. Die
weiteren konstituierenden Elemente sind (erweitert durch Arnold) die
Selbstorganisation, die freiwählbare Zugehörigkeit und die
gemeinschaftliche Wissenskonstruktion solcher Gemeinschaften.
Welche Vorteile bringt es für eine im Wettbewerb stehende Hochschule,
Community Infrastruktur für Studierende bereitzustellen, vor allem da
sich virtuelle Lerngemeinschaften in vielen Fällen auch ohne Zutun der
Bildungsverantwortlichen auf Eigeninitiative der Studenten bilden?
Mittelfristige Vorteile
Qualität der Lehr/Lernkultur
Wir sind davon überzeugt, dass sich selbstgesteuerte virtuelle
Lerngemeinschaften aufgrund der gesteigerten Lerneffekte als State of
the Art im Bildungsbereich durchsetzen werden. Bildungsinstitutionen
sollten es daher nicht dem Zufall überlassen, ob von studentischer
Seite in Eigeninitiative Infrastruktur bereit gestellt wird oder nicht,
damit solche virtuellen Lerngemeinschaften gedeihen können. Es zeigt
sich, dass sich virtuelle Lerngemeinschaften häufig in Fachgebieten wie
z.B. Informatik auf Grund der Vertrautheit mit der Materie durch
studentische Eigeninitiative bilden. Warum sollten aber z.B.
Agrartechniker oder Mediziner nicht von den oben erläuterten
gesteigerten Lerneffekten profitieren? Besonders interessant ist auch
der Aspekt, dass sich Lehrende in den Prozess einbringen können und am
Entstehen einer offene Lehr/Lernkultur mitbeteiligt sind.
Kontinuität des Community Repertoires
Wenn Studierende, die eigenständig Webinfrastruktur zur Verfügung
stellen, ihre Ausbildung beenden und ins Berufsleben einsteigen, kann
man von ihnen nicht verlangen, die Community dauerhaft technisch
weiterzubetreuen. Eine kontinuierliche Fortführung ist allerdings für
den Bestand des gemeinsamen Repertoires von Communities von großer
Bedeutung. Dazu zählen nicht nur die gemeinschaftlich erarbeiteten
Artefakte bzw. Erkenntnismaterial in Form von z.B. Frage/Antwort Foren,
Linksammlungen, Methodensammlungen etc. sondern auch die entstandenen
Routinen, Netiquette, Spielregeln etc., in denen sich die gelebte
soziale Praxis ausdrückt und die Teil der Gemeinschaftskultur sind.
Dieser von Generation zu Generation weitergegebene Schatz würde
verloren gehen. Das Know-How über solche Community Regeln kann auch in
Form von typischen Basisregeln, je nach Art der Community, an sich neu
konsituierende Gemeinschaften weitergegeben werden, quasi als Beigabe
zur Technologie.
Gewährleistung der Qualität der eingesetzten Technologien
Wesentliches Element von Online-Collaboration ist die Verlinkung
zwischen einzelnen Informationseinheiten. Dank der Möglichkeit zur
Verknüpfung und Verlinkung von Inhalten (Hypertext) können
Kommunikationsprozesse im Internet höchst effizient gestaltet werden.
Voraussetzung dafür ist allerdings ein technologisches Umfeld, das die
dauerhafte und eindeutige Referenzierbarkeit einzelner
Informationsstücke gewährleistet, sowie auch Lösungen für die
verlässliche Verfügbarkeit der Daten anbietet. Studierende in
Eigenregie können solche Voraussetzungen schwer erfüllen.
Langfristige bzw. strategische Wettbewerbsvorteile
Alumninetzwerke
Mit dem Ausspruch Alumninetzwerke sind die halbe Miete wurde kürzlich
Ulrich Schmidt vom Medienkontor Hamburg in einem Newsletter zitiert.
Die Gemeinschaftspflege und insbesondere die langfristige Pflege des
Kontakts mit Absolventen wird vor allem im angelsächsischen Raum seit
langer Zeit als selbstverständliche Aufgabe einer Bildungseinrichtung
angesehen und als strategischer Erfolgsfaktor erkannt. Nicht nur
bauliche Einrichtungen wie z.B. ein Campus oder Sporteinrichtungen
sondern auch Jahrestreffen der Alumnis und attraktive
Weiterbildungsangebote sind Beispiele für diese Grundhaltung. Dabei
geht es nie nur um die Vermittlung von Wissensinhalten sondern immer
auch um den Gemeinschaftsaspekt und die Absicherung von
Zukunftspotenzial.
Es wäre unrealistisch, Hochschulen im deutschsprachigen Raum das
angelsächsiche Modell zu verordnen. Jedoch muss darauf aufmerksam
gemacht werden, dass virtuelle Plattformen als erweiterte
Hochschulräumlichkeiten angesehen werden können, in denen
selbstorganisierte Communities im Hochschulumfeld gedeihen können und
damit strategisches Zukunftspotenzial darstellen.
Für Fachhochschulen bedeutet der enge Kontakt mit den Absolventen
langfristig die Möglichkeit, Anwendungsprojekte und Praktika für die
praxisorientierte Ausbildung zu erhalten, Absolventen als
Lehrbeauftragte zu gewinnen, Diplomarbeiten beauftragen bzw. betreuen
zu lassen und rasch über offene Stellen zu erfahren. Für
forschungsintensive Universitäten ist die Pflege der Netzwerkkontakte
in die relevanten Scientific Communities und innovativen Unternehmen
von Bedeutung.
Lebenslanges Lernen, e-Portfolios
Ebenso wie es für die Hochschulen von Vorteil ist, mit Absolventen in
Kontakt zu bleiben, ist es für Absolventen ein Vorteil, wenn die
virtuellen Communities und die Wissensinfrastrukturen auch nach
Beendigung des Studiums für sie offen zugänglich bleiben. Sei es, dass
man auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft bleiben möchte,
Literaturempfehlungen benötigt, Frage/Antwort-Möglichkeiten, ehemalige
Kollegen oder interessante Weiterbildungsangebote sucht.
In diesem Zusammenhang wird häufig das Schlagwort des lebenslangen
Lernens verwendet, oder auch der Begriff des e-Portfolios. Unter
e-Portfolio versteht man die Möglichkeit, digitale lernrelevante
Inhalte lebensabschnittsübergreifend mitzunehmen. Sei es, um
individuelle Erkenntnisprozesse zu fördern, diese zu präsentieren oder
sie zu evaluieren. Wir möchten auf das Potenzial verweisen, das sich
ergeben könnte, wenn sich Hochschulen ihre Zertifizierungsautorität in
Kombination mit der Vergabe von Bestandsgarantien von webbasierten
Inhalten zu Nutze machen. Diesem Thema müßte allerdings ein eigener
Artikel gewidmet werden.
Abschließend ist noch auf das zentrale Erfolgskriterium einer jeglichen
webbasierten Strategie hinzuweisen: Wesentliche Voraussetzung ist das
Vertrauen der Studenten in den Umgang mit den Daten. Um dies
sicherzustellen, wäre es unter Umständen sinnvoll, eine Art Daten- und
Vertrauensschutzgremium an den Hochschulen zur Sicherung des
verantwortungsvollen Umgangs mit den Daten einzurichten.
Eine für den Drucker geeignete Version des Textes finden Sie hier:
Erfolgsbedingungen für virtuelle selbstorganisierte Lerngemeinschaften (PDF, 207 kB)
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