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[super.CAMP project]

Konzept [vienna-team]
Thomas J. Jelinek
Alexander Nikolic
Katherina Zakravsky

Februar 2006

"Supercamp" ist ein Netzwerk von internationalen ProjektpartnerInnen, das in Form eines transdisziplinären Arbeitslabors den aktuellen öffentlichen Lagerdiskurs aufgreift und den "Lager-Komplex" als multidimensionales Phänomen (wissenschaftlich, architektonisch, künstlerisch, performativ etc.) auffächert.

"Supercamp" versteht den "Lager-Komplex" als ein mentales und soziales Symptom, das nicht nur politische und architektonische "Lager" im engeren Sinn ausbildet, sondern als Phänomen des temporären Zusammenlebens unter künstlichen Bedingungen auch in die Kunstproduktion Eingang gefunden hat.
Das Projekt "Supercamp" dokumentiert und analysiert diese Projekte, um sie in einen neuen spartenübergreifenden Kontext zu setzen. Künstler- und TheoretikerInnen können sowohl ihren eigenen "Lager-Komplex" in neuen, kommunikativen Netzwerken untersuchen als auch zu einem multimedialen Archiv der "Morphologie des Lagers" beitragen.

Die Forschungs-, Diskussions- und Dokumentationsprozesse speisen prozessual Laborphasen mit den internationalen PartnerInnen, die wiederum als Nährboden für konkrete performative und künstlerische Einzelprojekte funktionieren.

Background

"Das Lager" ist ein aktuelles Phänomen gesellschaftspolitischer Entwicklungen.


Ausnahmezustand:
Das Lager ist eine Zone des juristischen Ausnahmezustands. Jede Regel muss im Lager erst verhandelt werden.


Ein logischer Ausgangspunkt zur Analyse des "Lagers" als Komplex scheint das geplante System von Anhaltelagern rund um die EU, ein logistisches Leitsystem von Bevölkerungen, das im Gefälle der armutsbedingten globalen Migration Menschenflüsse und Menschenmassen steuern und bremsen soll.
Die Situation von AsylwerberInnen in Europa, die jahrelang im Ausnahmezustand - im Lager - auf die Entscheidung über ihre Aufenthaltsgenehmigung warten müssen, erweist sich als ein medial sehr präsentes Problem, das mit breiteren gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängt.
Der prekäre Status der AsylwerberInnen, die sich zwar faktisch in einem Land aufhalten, sich de jure aber in einem Niemandsland bewegen, das als "Lager" Institution wird, geht mit einigen symptomatischen zeitgenössischen Phänomen einher: Mechanismen der Selbst- und Fremdeinschließung ("Capsularity), die Verwaltung von Personen (insbesondere "Fremder") als logistisches Problem, eine neue urbane und sub-urbane Kultur temporärer Besiedlung und das Entstehen von "Non-Sites" und Heterotopien.

Obwohl sich humanitären Einrichtungen und die Verwaltungsapparate kritisch gegenüberstehen, sind sie sich in einem Punkt einig: die Lage der AsylwerberInnen und MigrantInnen muss so schnell wie möglich "normalisiert" werden, die prekäre Wartestellung
im Lager darf nicht länger als unbedingt nötig dauern. Was aber beide
Diskurse möglicherweise nicht erkennen können, ist die Tatsache, dass eine Gesellschaft, die eine relativ große Gruppe von Personen unter diesen Bedingungen leben lässt, sich ein Symptom einhandelt, das auf diese Gesellschaft zurückwirkt. Das "Ausgelagerte" wirkt auf das Innere zurück.
Die Ausbildung von "Lagern" ist Konsequenz dynamisierter und prekärer Lebensformen. Was zunächst für "die anderen" entworfen wurde, fällt auf die Lagerplaner zurück. Der Ausschluss ist umgekehrt auch eine Selbsteinschließung. Wie Giorgio Agamben gezeigt hat, entspricht die Topologie des Lagers den Möbiusschleifen einer "einschließenden Ausschließung". Das Lager als Ort der Ausnahme wird so zum Ausgangspunkt für ein neues Denken sozialer Räume.

Lager entstehen demnach in verschiedenen Zusammenhängen und erfassen auch den Freizeitmarkt und die Wohlstandsindustrie: Gated communities, Tourismusanlagen, Feriencamps und mediale "camps" im Stil von Big Brother reproduzieren die temporäre Funktionalität
von Aufenthaltsorten und praktizieren zugleich die Prinzipien von Einschluss- und Ausschlussmechanismen.

Es stellt sich also schließlich die Frage, inwiefern dem so weit gestreuten semantischen Feld des Begriffs "Lager" eine ebenso vielfältige Morphologie des Lagers entspricht. Das Projekt "Supercamp" macht sich zur Aufgabe, die Mannigfaltigkeit dieser Formen auf zentrale Symptomknoten des sozialen Raums rückzubeziehen, um ein multimediales Archiv durch Analyse und Kommentar zu verdichten.

Die mehrdimensionale Reflexion, die sich das Projekt "Supercamp" zur
Aufgabe macht, umfasst sowohl Theorie, Forschung und Diskurs als auch
künstlerische, performative, mediale und architektonische Formen.

Research aspects

Das transnationale Netzwerkprojekt SUPERCAMP ist zugleich Untersuchungsinstanz und Spiegelbild für das Netz von Flüchtlings- und Anhaltelagern, aber auch Ferienlagern, therapeutischen Lagern, "Themenparks" etc., das Europa überzieht. Das "Lager" steht nicht nur für eine bestimmte Form von Einrichtung, sondern ganz allgemein für die Grundauffassung, dass menschliche Angelegenheiten als logistisches Problem erscheinen. Die abstrakte Identifikation und Organisation von einander fremden Personen muss daher auch nicht notwendig auf zwangsweise und gewaltförmige Lagerformen beschränkt werden. Gerade auch die scheinbar freiwilligen Lagerformen wie Ferienlager, "all inclusive" Hotelanlagen, Luxuswohnungen in "gated communities" lassen die strenge Unterscheidung von freiwilligen und unfreiwilligen Lagern problematisch erscheinen.
Über dieses breite Feld von Lagern gilt es, eine "Lagergeschichte" zu entwerfen, die gerade die ambivalenten Aspekte dieses so mehrdeutigen Phänomens ernstnimmt. SUPERCAMP versteht sich als ersten Schritt für die Erstellung einer längerfristigen Plattform für die Erforschung und Archivierung des Lagers als zentrale Existenzform von hoch- und postindustriellen Gesellschaften. Daher beginnt SUPERCAMP mit der Erstellung und Präsentation eines multi-medialen Archivs, das sowohl als Website als auch als Internet-TV entwickelt wird.
Hier nennen wir einige Punkte, die uns besonders interessieren werden:
· Freiwillige Lagerbildungen (Hotels, Ferienanlagen, Sommer Camps etc.)
· Unfreiwillige Lager (Anhalte- und Flüchtlingslager etc.) auch in zeitgenössischen Demokratien
· "Gated communities" - überwachte Wohnanlagen und "Themenwohnen"
· Die historisch-etymologische Erforschung des Lagers ausgehend vom militärischen Lager auf dem freien "Feld" (lat. campus). In diesem Rahmen auch die Untersuchung der schwer zu entschlüsselnde Beziehung zwischen dem "camp" als sozialer bzw. juridischer Einrichtung und "camp" als ästhetischer Begriff für eine extrem künstliche und theatralische, tendenziell die Geschlechterrollen überschreitende ("queer") Form der Selbstdarstellung (wie schon in den Sechziger Jahren von Susan Sontag beschrieben und seither vor allem mit Andy Warhol assoziiert).
· Aspekte und Eigenschaften des Lagers als Symptom: Organisation, Disziplin, Geschlossenheit, Isolation, Regeln des Verhaltens
· Das Verhältnis von privaten und öffentlichen Räumen und die juridische Definition eines Raumes, den Giorgio Agamben als einschließende Ausschließung beschrieben hat. Das Lager als permanenter Ausnahmezustand, der außerhalb des Rechts steht und doch sein eigenes Recht erlässt.
· Das Lager als "soziales Spiel", als Organisation des "nackten Lebens" und "Nacktheit" der Organisation. Die Frage, ob das Lager als tendenziell anonymer, verleugneter und vorübergehender Ort, als "Durchgangslager" ein Ort ohne Gedächtnis ist. Ist ein Archiv des Lagers möglich oder ist das Lager ein Ort der Heimsuchung ("haunted camp")?

KICK OFF
[ SUPERCAMP ]
CAMP-project- conference and presentation
Vienna: 23. & 24. february 2006