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performance

homo sacer

 

CABARET - Homo Sacer

Eine Produktion des
nomad-theatre
in Koproduktion mit
MASKA (Slo), Wagenhalle (Stuttgart) und der Medienklasse der Willem de Kooning Academy in Rotterdam


HOMO SACER

Hauptpartner sind der slowenische Verlag und Produktionsverein "Maska", der die gleichnamige Performance Zeitschrift herausbringt (Herausgeber Emil Hrvatin, Bearbeiterin des Antrags Barbara Hribar) sowie die Wagenhalle ev. In Stuttgart. Geplant ist eine große Aufführung zum Schluss des Projekts in der Wagenhalle in Stuttgart. In der Sammlung und Bearbeitung des medialen Materials werden verschiedenen Kooperationen unter anderem mit der Medienklasse, des Gesamtprojektpartners, Willem de Kooning Academy, eingegangen. Aufführungen in Wien sind ab Herbst 2007 geplant.


Grundkonzept


Die Produktion ist eine Performance Installation in enger Anlehnung an das Genre des Varietes. Daher wird die musikalische Komposition der Form der Nummernrevue entsprechen.
Das Konzept nimmt Giorgio Agambens Studie zum "Homo Sacer" zur Grundlage, um die Existenz des aus der sozialen Ordnung verbannten Menschen zu thematisieren. Der "homo sacer" ist der rechtlose, verworfene Mensch, den die Rechtsordnung nicht mehr schützt. Er/sie kommt oft aufgrund äußerer Zuschreibung in diese Lage. Gesellschaftliche und staatliche Mächte erkennen im "homo sacer" gewisse Eigenschaften, die zugleich der Grund sind, ihn/sie als Wesen ohne Eigenschaften, als "nacktes Leben" zu behandeln. Eine Konsequenz dieser Struktur der "Verbannung" wäre nach Agamben die Zusammenfassung der Verbannten in einem Lager. Im Lager als soziales Symptom gibt es aber auch von jeher den Aspekt des Lagerentertainment, um sozusagen die leere und prekäre Zeit im Lager zu "vertreiben". Somit ist das Lager in seiner Spannung zum Variete nicht nur ein Ort, wo Täter auf Opfer treffen, sondern grundsätzlich eine existentielle Situation, in der alle sozialen Rollen und persönlichen Eigenschaften prekär und unsicher werden. Das bloße "Haben" von Eigenschaften wie Geschlecht, sozialer Status, Bildung, Nationalität etc. wird als fraglich und künstlich erkennbar. Hier ergibt sich eine konzeptionelle Brücke zum klassischen Bar Song, in dem eine Barsängerin ihr Schicksal und ihre Gefühle offenbart. Wer singt dieses bekenntnishafte Lied? Eine bestimmte Frau oder eine bloße Rollenträgerin der femme fatale? Das Variete wird zu einer Inszenierung der hybriden Identität.
Eine weitere Grundlage ist das Musical "Cabaret" in seiner Verfilmung durch Bob Fosse (USA 1973) mit Liza Minelli und Joel Grey. Hier wird das Berlin der 30er Jahre vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten als ein untergehendes Paradies der Dekadenz nachinszeniert. An der Schwelle zum Untergang werden nochmals alle Identitäten neu gemischt. Die für das Musical genrespezifische Hymne der Selbstdarstellung, Gesänge des Triumphs und des Widerstands (Kaiserin Sissi singt etwa "Ich gehöre nur mir!") erweist sich als Abgesang.
Andererseits aber kann die scheinbar freiwillige Selbstoffenbarung des Bühnenhelden umkippen in eine von außen erzwungene Befragung eines Verdächtigen.  Dies führt zu dem Grundmodul des "Cabaret Homo Sacer", einer Verhörsituation, in der die Rollen ständig umspringen und auch der verhörende Beamte oder "Lagerleiter" plötzlich in einen Selbstoffenbarungsgesang verfallen kann.

Da die Inszenierung die klassische Bühnensituation zugunsten einer Clubsituation aufgelöst wird und auf eine hybride Ästhetik zielt, die auch Theoriefragmente und Multimedia umfassen kann, gibt es einen archetypischen Charakter, den "Fährmann" dieses "bal macabre",  der als Confroncier durch die Inszenierung führt und sich an den androgynen und sinistren Charakter anlehnt, den Joel Grey in dem Film "Cabaret" verkörperte.


Katherina Zakravsky
 


Zum Arbeitsprozess


Cabaret Homo Sacer ist ein Arbeitsprozess, der entlang der verschiedenen Stationen des CAMP-projekts Erfahrungen, Informationen, fragmentarische Geschichten, Menschen und Materialien (Bilder Filme, Tondokumente, Schriftstücke, etc.) sammelt - entlang der Strecke verschiedene Kooperationen eingeht, Menschen einlädt, einen Beitrag zu leisten. Das angehäufte Material wird eingearbeitet, Menschen in den weiteren Entwicklungsprozess aufgenommen.
Die resultierende Performance ist zugleich eine Art Revue des Projektprozesses und ein Reisebericht von der Suche nach den Spuren der festgesetzten Reisenden, aus denen künstliche, fiktive Archetypen -
aus realen Verweisen - zusammengesetzt werden. So ist die Revue zugleich eine Mythologie der Migrationsströme und künstlichen Lagerumwelten der Gegenwart und eine Rückschau auf Orte, Begegnungen, Gespräche und Ereignisse des gesamten zweijährigen Prozesses des CAMP-Projekts.
Die Performance ähnelt strukturell dem Musikvarieté und bewegt sich zwischen Unterhaltungsshow und multimedialer Installation. Die Performance gleicht einem Zoo einzelner Bilder und Beiträge aus den gesammelten Materialien, die in die Struktur der jeweiligen diskursiven und künstlerischen Programmgestaltung einfügt werden können.
Cabaret Homo Sacer ist Lagerunterhaltung, die das Lager selbst abbildet. Ebenso zeigt sich die Textebene wie musikalisch und nicht dialogisch gedacht. Das heißt, dass die Texte assoziatives Mittel zum Ambiente der musikalischen Tonebene und Teil der sich über den Zeitlauf der Performance verändernden Rauminstallation sind. Die Dinge werden nicht erklärt, nur gezeigt, sodass die Zuschauer selbst die Erklärungen und Geschichten (er)finden und zu Ende erzählen müssen - sich also selbst auf die Reise begeben muss.
Die moderierte Show, die menschliche Situationen und archetypische Charaktere wie Varieténummern vorführt, erzeugt Miniaturen. Diese zeichnen die unterschiedlichsten Lebensgeschichten, deren Partikel in Summe den großen Fluss ergeben. (Dies entspricht einem Konzept, das aus dem Theater/Performancelabor "Flussmenschen"* übernommen wird.)

Cabaret Homo Sacer ist eine modulare und serielle Performance, die in mehreren, je nach Rahmenbedingungen größeren und kleineren Variationen gezeigt werden kann. Daher können in Wien mindestens eine Version gezeigt werden. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten der Wagenhalle in Stuttgart wird dort die bis dahin medial aufwendigste und größte Variante aufgeführt.

*Flussmenschen Labor Der Laborprozess war in seiner Konzeption öffentlich zugänglich d.h. es gab interessierten Menschen ("Laien") die Möglichkeit mit professionellen Performern  u. KünstlerInnen (auch) öffentlich zu arbeiten und zu kommunizieren. Das Performancelabor Flussmenschen war ein dergestalt offener kontextbezogener Laborprozess in dessen Verlauf auch zwei öffentliche Improvisationen gezeigt wurden.
 

Zur musikalischen Gestaltung


Polystilistik ist einer der Grundprinzipien der musikalischen Gestaltung in "Cabaret HOMO SACER". Das Spektrum reicht von einem einfachen Lied mit Gitarrenbegleitung bis zu komplexen Collagen, die mit Hilfe der Elektronik geschaffen werden.
Die Musik besteht aus zwei Hauptelementen:
1. Akustische Musik
2. Elektronische bzw. Computermusik
Zum Ersten gehören Schlagzeuger, Sopran, Schauspieler (Sprache + Gesang) und Elemente der Bühne, die als perkussive Tonerzeuger benutzt werden können.
Die elektronische bzw. Computermusik besteht aus zwei Elementen: Live-Elektronik (Klangerzeugung + Klangbearbeitung) und vorgefertigte Zuspielelemente.
 Die instrumentale Wahl ist wegen des sehr reichen Klangspektrum und der Möglichkeit, den rhythmischen Aspekt der Musik zu unterstreichen, auf Schlagzeug gefallen. Die Frauenstimme steht wegen der sehr spezifischen Klangcharakteristik und der in erster Linie melodischen Anwendung im Gegensatz dazu.
 Da die Musik in dieser Performance eine wichtige Rolle spielt, ist sie sehr eng mit der Inszenierung verbunden. Die Akteure werden als Musiker bzw. "Instrumentalisten" betrachtet und somit auch in das musikalische Geschehen eingebunden. Der Komponist übernimmt die Live-Elektronik und wird auch auf der Bühne mit den Akteuren interagieren.
 Im Prozess der Konzeptentwicklung ist die Idee einer "Gesamtpartitur" entstanden, die ALLE Elemente der Performance gleich behandelt.

Arbeitsteam:

Laborleitung/Regie u. visuelles Setting: Thomas J. Jelinek
Dramaturgie u. Theorie : Katherina Zakravsky
Komposition: Musik und Sound : Art G. Denissov

Darstellerinnen und TeilnehmerInnen werden aus den Laborphasen (auch vor Ort) zusammengesetzt
Hauptdarsteller und Sängerin werden gecastet

Drama u. Coaching: Harald Jokesch
Text u. Textbearbeitung
Patricia Brooks
Katherina Zakravsky
Found footage

Video: Lisa Truttmann / Thomas J. Jelinek

Konzept: Zakravsky, Jelinek, Denissov

 

Aufführungen:

Ljubljana: Metelkova /  Koproduktion mit MASKA
Stuttgart: Wagenhalle Juni 2007
Wien: FLUC vorraussichtlich Sommer 2007
Wien: dietheater
Salzburg: Arge Nonntal 2007/2008

 

Textausschnitte aus der ersten Konzeptphase


Verhör - Bal Macabre

V. 1. Verhör
Kommandant zu Partisan (leerer Stuhl)  (dt./engl.)

Wer sind sie?
What is your name?
Wo wurden Sie geboren?
How old are you?
Haben Sie eine Aufenthaltsgenehmigung?
Have you ever been refused entry to any country?
Haben Sie Kontakte im Ausland?
How do you make your living?
Wo wohnen Sie?
Where did you live three months ago?
Wer sind Ihre Nachbarn?
Do you have sexual relationships?
Haben Sie eine Freundin?
Do you prefer vaginal, oral or anal sex?
Sehen Sie sich pornographische Filme an? Kommt es ihnen dabei?
Are you infected with HIV?
Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?
Do you suffer from veneral diseases?
Nehmen Sie illegale Drogen?
Did you receive medical treatment for mental or nervous diseases?  
Gehören Sie einer religiösen Glaubensgemeinschaft an?
Are you a member of a political group?
Zu wem haben Sie sonst noch Kontakt?
What is your code name?
Do you keep contact to a terrorist organization?
Besitzen Sie Waffen?
Have you been trained in a military or paramilitary unit?
Lesen Sie verbotene Schriften?
How many people did you kill?
Gefällt Ihnen das Töten?


For which organisation do you work?
Wer ist ihr Auftraggeber?
What are your orders?
Ist der orange Schal ein Erkennungszeichen?

 


V.3.
Kommandant und Mädchen:  (frz./engl.)
Kommandant: Tes papiers! Où sont tes papiers? Dont you understand? Passport. Tu n'en as pas. Oui bien sur. C'est toujours la même histoire avec ces gosses de l'est. Essayent d'entrer illégalement. No documents? No money ? Nothing. Of course. Just a big cunt.
Mädchen: Man hat mir meinen Pass weggenommen. Das war das erste, was sie getan haben. (russ.)
Kommandant : Tu penses de trouver un mac qui te soutient. Lui, il paye et en revanche toi tu te fais baiser deux fois par semaine. Ca te ferait plaisir. N'est ce pas? Western standard. For this service we have our own women. They are not any better than you, but at least they speak our language with no accent. You are stupid but you have good tits, good ass. Better than the other way round. That makes me kind. I'll give you a chance. Viens ici, je vais te montrer comment on fait une petite salope comme toi heureuse.
Mädchen: Arschloch, lass mich zufrieden! (russ.)
Kommandant: Shut up. The only thing you need is big prick between your legs. A good fuck in your hole.

(Anmerkung: Übersetzung frz. Teil: Wo sind deine Papiere? Du hast keine? Natürlich, das sagen sie alle. Es ist immer die gleiche Geschichte mit diesen Mädchen aus dem Osten. Versuchen illegal einzureisen. No documents? No money ? Nothing. Of course. Just a big cunt.
Mädchen: Man hat mir meinen Pass weggenommen….
Du glaubst, dass du hier einen Kerl findest, der dich aushält. Er zahlt und dafür lässt du dich von ihm zweimal die Woche ficken. Das würde dir gefallen. Nicht wahr. Western standard….. Komm her ich werde dir zeigen wie man eine wie dich glücklich macht).


V.4.
Fährmann Smith
When I try to classify your species, I realized that you were not actually mammals. Every mammal on this planet instinctively develops a natural equilibrium with its surrounding environment. But you humans you do not. You move to an area, you multiply and multiply, until every natural resource is consumed. The only way you can survive, is to spread to another area.

There is another organism on this planet that follows the same pattern. Do you know what it is? A virus. Human beings are a disease, a cancer to this planet, a plague.

I can try to be honest with you. I hate this place, this zoo, this prison, this reality, or whatever, you want to call that. I can stand it any longer. It is the smell, if there is such a thing. I feel saturated by it. I can taste your stink. End every time I do, I fear that I have somehow been infected by it. It is repulsive. Isn't it.
I must get out of here. I must get free. And in this mind is the key. Do you understand? I need the codes. You are going to tell me, or you are going to die.

Fährmann: Ich kann sie riechen - 10 Meilen gegen den Wind. Ich brauche sie nicht sehn, nicht hören, ich weiß immer wenn sie da sind. Ihr Geruch verursacht mir Übelkeit. Es ist der Geruch des Todes. Abschaum sind die Menschen. Mit nichts vergleichbar, was es in diesem Universum je gegeben hat. Schlimmer als Ungeziefer. Ein tödlicher Virus. Eine schleichende Krankheit, eine Ansammlung mörderischer Krebszellen, die alles befällt und verschlingt, bis sie sich am Ende selbst in ihrer Gier vernichtet.

 

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